Gemeinschaft – Fitra im Islam? Teil 1
In dieser Artikelreihe möchte ich mich mit dem Thema Gemeinschaft oder besser Ummah beschäftigen und wie die Fitra mit der Ummah verbunden ist.
Zunächst möchte ich euch erläutern, was die Fitra ist:
Jedes Kind wird mit einer reinen Fitra geboren, d.h. dass jedes Kind von Allah subhanahu wa taala eine natürliche Veranlagung geschenkt bekommen hat, die es alleine an Allah subhanahu wa taala glauben lässt und zur wahren Religion führt, wenn es keine negativen Einflüsse geben würde. Allah subhanahu wa taala hat diese Fitra in jeden Mensch hineingelegt, noch bevor er geboren wurde. Er hat von jeder menschlichen Seele den Schwur abgenommen, dass nur Er allein anbetungswürdig ist. Das wird mit folgendem Vers bestätigt:
“Und als dein Herr aus den Kindern Adams – aus ihren Rücken – ihre Nachkommenschaft hervorbrachte und sie zu Zeugen gegen sich selbst machte (,indem er sprach): „Bin Ich nicht euer Herr?“, sagten sie: „Doch, wir bezeugen es.“ (Dies ist so,) damit ihr nicht am Tage der Auferstehung sprecht: „Siehe, wir wußten nichts davon.“ (7:172)
Erklärt wird diese Aya sehr schön durch einen Teil aus einem sehr langen Hadith. Ich werde hier nur diesen für uns relevanten Teil erwähnen: Der Gesandte Allahs sagte: “Als Allah Adam erschaffen hat, strich Er über seinen Rücken und es fielen aus seinem Rücken alle Menschen, die Allah erschaffen hat als Nachkommenschaft Adams bis zum Tag der Auferstehung. Und Er ließ zwischen den Augen eines jeden Menschen einen Lichtglanz ausstrahlen. Dann hat Er sie Adam vorgestellt. Da fragte Adam: O mein Herr, wer sind diese? Er antwortete: Das sind deine Kinder.[…] ” (ein sahih-Hadith aus As-Sunnan At-Tirmidhi und überliefert von Abu Houraia). Nachdem diese Menschenseelen erschaffen worden waren, hat Allah sie schwören lassen, dass Er ihr Herr ist.
In einem authentischen Hadith heißt es: „Jedes Kind wird entsprechend der Fitra geboren. Erst später wird es von seinen Eltern als Jude, Christ oder Feueranbeter erzogen.“ (überliefert von Bukhary, Muslim und Abu Dawud).
Wird ein Kind in einem muslimischen Haus islamisch richtig erzogen, so wird diese natürliche Veranlagung durch die Erziehung bestätigt und zur Umsetzung gebracht durch das Erlernen der Pflichten gegenüber Allah und den Mitmenschen. Wird ein Kind jedoch in einem Haushalt erzogen, in dem die Eltern nicht nach den islamischen Gesetzen leben, sondern nicht praktizierende Muslime, Christen, Juden oder heutzutage sehr oft anzutreffen, einfach ohne jeglichen Glauben sind, so wird das Kind in diese Richtung erzogen. Die Fitra aber bleibt im Menschen verborgen und geht nicht verloren, sondern wird durch die Umerziehung unterdrückt. Der Prophet Muhammad sallalahualeihi wa salam überliefert, dass Allâh gesagt hat: „Ich habe meine Diener in der richtigen Religion erschaffen, aber die Teufel sorgten dafür, dass sie fehlgehen.“ (Überliefert von Muslim). Das ist ein wichtiger Hadith, der hier unbedingt erwähnt werden muss, denn er bestätigt, dass die natürliche Veranlagung eines jeden Menschen ist, Allah als einzigen Schöpfer anzuerkennen. Und solange er diese Veranlagung unterdrückt, finden die Menschen ihre innere Ruhe nicht und gehen auf die Suche. Nur die Rückkehr zu Allah und zum Islam lässt den Menschen den inneren Frieden mit sich selbst finden. Sie haben dann sozusagen den Bund mit Allah wiedergefunden und ihr Leben mitsamt den Gefühlen, Trieben und Pflichten in Einklang gebracht. Die Urverbindung wurde somit wiederhergestellt! So sagt Allah in folgendem Vers:
“So richte dein ganzes Wesen aufrichtig auf den wahren Glauben, gemäß der natürlichen Veranlagung, mit der Allah die Menschen erschaffen hat. Es gibt keine Veränderung in der Schöpfung Allahs. Dies ist die richtige Religion. Jedoch, die meisten Menschen wissen es nicht.“ (30:30)
Nun wollen wir uns damit beschäftigen, ob durch diese natürliche Veranlagung auch der Gemeinschaftssinn geprägt wird und in wie weit die Erziehung eine Rolle spielt.
Fest steht, dass der Mensch als soziales Individuum geboren wird und wie auch die Fitra durch Erziehung verändert bzw. unterdrückt werden kann, kann dies auch mit dem Sozialverhalten geschehen. Jedem muslimischen Vater und jeder muslimischen Mutter muss somit die Verantwortung ihren Kindern gegenüber bewusst sein. Unsere Kinder sind ein Geschenk Allahs, eine Amanah und eine Probe sozusagen. Eine Amanah ist ein anvertrautes Gut, das nach einer bestimmten Frist zurückgegeben werden muss. So gilt dies auch für unsere Kinder, die wir von Allah bekommen haben. Wir erziehen sie, leiten sie an und weisen sie auf ihre Pflichten gegenüber Allah hin. Und zu einer festgesetzten Frist wird Allah diese Amanah wieder an sich nehmen und wir werden Verantwortung für unsere Kindererziehung übernehmen müssen. Sind wir uns dieser Verantwortung bewusst? Sind wir Vorbilder für unsere Kinder? Alles, was wir in unserer Familie als kleinster Einheit der Gemeinschaft verwirklichen, trägt der Ummah im Ganzen bei. Wir sind eine große Familie, das wird besonders in dem oben erwähntem Hadith deutlich, dass, als Adam aleihi assalam Allah fragt, wer denn die ganzen Menschen seien, Allah taala antwortet: “Das sind deine Kinder.” Wir sind alle Kinder Adams, egal welcher Religion wir heute angehören, wir haben einen gemeinsamen, islamischen Ursprung und somit auch eine tiefe Verbundenheit zu einander. Die islamische Gemeinschaft (arab.: Ummah) besteht seit Anbeginn der Entstehung der Menschheit und aus ihr sind all die Propheten von Allah auserwählt worden, um uns Recht zu leiten und zu erziehen.
Die Ummah wird im Islam hochgeschätzt. Sie wird im Quran sehr oft im direkten Zusammenhang mit dem Glauben erwähnt, wie folgender Vers zeigt:
“Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen entstand. Ihr gebietet das, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrecht, und ihr glaubt an Allah.” (3:110)
Ein gläubiger Mensch ist also jemand, der nur Allah anbetet und in seiner Umgebung aktiv das Gute gebietet und das Schlechte verbietet. Ich betone hier aktiv, denn nur wenn du nach den Gesetzten Allahs handelst, setzt du deinen Glauben um und gehörst dann zu dieser besten Gemeinschaft. Das zu wissen, sollte unsere Handlungsbereitschaft erhöhen. Der Prophet (sallalahu aleihi wa salam) sagte: „Der Muslim, der mit den Menschen verkehrt und den Schaden davon geduldig erträgt, ist besser als der, welcher nicht mit ihnen verkehrt und den Schaden davon nicht geduldig erträgt.“ (von Umar überliefert bei At-Tirmidhi). Und zumindest das Herz eines Gläubigen sollte rein bleiben. “Wer von euch etwas zu Verabscheuendes sieht, soll es mit seiner Hand verändern, und wenn er dies nicht vermag, so soll er es mit seiner Zunge verändern, und wenn er (selbst) das nicht vermag, dann mit seinem Herzen, und dies ist das Mindeste an Glauben.” (von Abu Sa’id Al-Hudri überliefert bei Sahih Muslim)
Die Erziehung unserer Kinder basiert auf dem Prinzip: Loben und dadurch motivieren, aktiv handeln und dadurch ein Vorbild sein, an Allah bedingungslos glauben und dadurch schlechtes Verhalten unterbinden.
Unsere Kinder sehen in uns ihr erstes Vorbild. Wir, vor allem die Mütter, sind die ersten prägenden Personen für unsere Kinder. Die Vorbildfunktion zieht sich durch das ganze Kinderleben hindurch, bis sie erwachsen sind und für ihre Taten selbst Verantwortung tragen. Allah hat die Kinder noch unschuldig erschaffen. Ein Kind wird von Ihm nicht zur Rechenschaft gezogen. Wohl aber ein erwachsener junger Mensch, der Gut und Schlecht unterscheiden kann. Dafür muss er die islamische Lebensweise kennen und seinen Sinn und seine Bedeutung verstehen. Auch der Prophet sallalahu aleihi wa salam hat sich nicht nur mit der Umerziehung des Erwachsenen beschäftigt, sondern auch mit der Erziehung der Kinder. Seine Erziehung war geprägt durch Liebe, Lob und Verständnis. Ich werde das zu einem späteren Zeitpunkt vertiefen, inschaAllah.
Professor Dr. Hüther, ein renommierter Neurobiologe, hat in einem seiner zahlreichen Vorträge etwas sehr Interessantes berichtet. Er erzählt von einer Studie, die mit sechs Monate alten Babys durchgeführt wurde. Die Kinder sind in diesem Alter schon fähig einer Szene am Bildschirm zu folgen und so hat man sie kurze Sequenzen anschauen lassen. In der ersten Sequenz sahen die Kinder ein kleines Männlein, das mit Mühe einen Berg zu erklimmen versucht. In einer zweiten Sequenz sehen sie dann, wie ein kleines grünes Männlein diesem hilft und in der dritten Sequenz wird das kleine Männlein, das den Berg erklommen hat, von einem Blauen wieder hinab gestoßen. Die Kinder haben die Szenen immer wieder zu sehen bekommen. Danach hat man ihnen kleine grüne und blaue Männlein zum Spielen hingestellt. Und für welchen haben sich die Babys entschieden? Sie haben sich alle für den Grünen zum Spielen entschieden! Dr. Hüther ist der Auffassung, dass ein Mensch nicht aggressiv und rücksichtslos geboren wird, sondern dass er im Laufe der Zeit dazu wird.
Ich finde das sehr beeindruckend, dass schon so kleine Menschen in der Lage sind zu entscheiden, was gutes Verhalten ist. Das ist die Unschuld, die jedes Kind in sich trägt, die aber im Laufe der Lebensjahre oft verloren geht.
Die Studie wurde fortgesetzt und die Babys sahen im Alter von einem Jahr wieder diese drei verschiedenen Szenen. Als man ihnen dann die Männlein wieder zur Wahl stellte, entschieden sich 20% der Kinder nun für das blaue Männlein. Das heißt also, die Kinder haben innerhalb ihres ersten Lebensjahres durch Beobachtung der Familienmitglieder und ihrer Umgebung erfahren, dass es sich lohnen kann, jemanden aufgrund seiner eigenen Bedürfnisse zurückzusetzen!
An diesem Experiment erkennt man deutlich, dass ein Baby sozial und unschuldig auf die Welt kommt. Es wird uns aber auch vor Augen geführt, dass Erziehung bereits in sehr frühen Jahren, ja sogar den ersten Monaten, beginnt zu fruchten. Somit wird die tragende Rolle der Eltern mehr als deutlich.
Allah sagt im Quran:
“O ihr die ihr glaubt, bewahrt euch und eure Angehörigen vor einem Feuer, dessen Brennstoff Menschen und Steine sind…” (66:6)
Wird uns diese Aufgabe bewusst, so können wir uns inschaAllah selbst motivieren, dieser wichtigen Rolle gerecht zu werden. Klappt es erst einmal in der Familie, so wird man auch automatisch für das Allgemeinwohl mitsorgen. Denn jeder einzelne Muslim, der mit reinem Gewissen für Allah lebt, wird der Sunna des Gesandten folgen und ein produktiver und kultivierter Bestandteil seiner Ummah sein.
InschaAllah werde ich in der nächsten Zeit Teil 2 und 3 folgen lassen.
Siehe auch: Teil 2
Hier ein Vortrag von Professor Dr. Hüther zu diesem Thema:
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