Die Gemeinschaft – Fitra im Islam, Teil 3

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA

Ich komme nun zum letzten Artikel aus der Serie: Gemeinschaft – Fitra im Islam? Nachdem ich den Begriff Fitra im ersten Teil näher erklärt habe und im zweiten Teil mich mit dem Thema Erziehung beschäftigt habe, möchte ich mich im dritten Teil dem Thema Gemeinschaft, Geschwisterliebe und Mitläufertum widmen.

Die Verantwortung jedes Einzelnen in der Gemeinschaft

Die Gemeinschaft stellt eine Form des Zusammenlebens mehrerer Menschen mit unterschiedlichen Charakteren, aber doch mehr oder weniger gleicher Einstellung, dar. Die kleinste Einheit einer Gesellschaft ist die Familie und die prägt unser Verhalten unseren Nachbarn, Mitmenschen, Freunden, Bekannten, Familienangehörigen, Glaubensgenossen oder Leidensgenossen gegenüber. Unser Verhalten innerhalb einer Gemeinschaft wird vor allem auch durch unser Verantwortungsbewusstsein anderen gegenüber bestimmt. Und jeder trägt eine Teilverantwortung, egal in welchem Gesellschaftssystem wir uns befinden.

Der Prophet (sallallahu alaihi wa sallam) sagte treffend: „Jeder von euch (Muslimen) ist ein Hirte. Und jeder von euch ist verantwortlich für seine Schützlinge. Ein Führer ist ein Hirte, und er ist verantwortlich für seine Schützlinge. Ein Mann ist ein Hirte für seine Familie, und er ist verantwortlich für seine Schützlinge. Eine Frau ist eine Hirtin für das Haus ihres Gatten, und sie ist verantwortlich für das, was unter ihrer Sorge steht. Ein Diener ist ein Hirte über den Reichtum seines Herrn, und er ist verantwortlich für das, was unter seiner Sorge steht.“ (überliefert von Buchari).

Mit diesem Hadith hat der Gesandte Muhammed (sallallahu alaihi wa sallam) unsere Verantwortung definiert. Wenn ich mir nun meiner Verantwortung bewusst bin, die ich trage, so bin ich ein funktionierender Teil der Gesellschaft. Damit meine ich aber nicht, dass man zum Mitläufer wird und das Denken aufgibt.

Um sich genau vor diesem Mitläufertum zu schützen, ist es unerlässlich, sich Wissen anzueignen. Wir sollten ja ein denkendes und produktives Mitglied einer Gemeinschaft sein. Wird jedoch das Lernen unterlassen, so wird derjenige passiv und sehr beeinflussbar. Eine passive Haltung wird vom Islam abgelehnt, aber es braucht oft Hilfe, um das zu begreifen und dann wirklich etwas zu ändern. Allah hilft keinem Menschen, der sich nicht selbst hilft.

“Allah verändert nichts an einem Volk, solange sie (d. h. die Angehörigen dieses Volkes) nicht (ihrerseits) verändern, was sie an sich haben.” (13:11)

„Das Streben nach Wissen ist für jeden Muslim eine Pflicht.“ (überliefert von Ibn Madja)

Abu Houraira sagte: Ich hörte, wie der Gesandte Allahs (sallallahu alaihi wa sallam) sagte: „Das Wissen kommt davon, dass man lernt, und die Sanftmut, indem man es immer wieder trainiert, nicht aufbrausend zu werden, wenn man beleidigt wird. Und wer sich sehr darum bemüht, das Gute zu tun, der bekommt es (von Allah, dass er Gutes tut). Und wer sich sehr darum bemüht, vom Schlechten Abstand zu nehmen, von dem wird es auch abgewendet (, dass er Schlechtes tut).“ (Scheikh al-Albani stufte diesen Hadith als hasan ein).

Ganz klar wird hier daraufhin gewiesen, dass auf das Wissen die Umsetzung kommt und diese mit Geduld einhergehen. Es reicht also auch nicht aus, sich theoretisch weiterzubilden, jedoch in der Praxis auf der untersten Stufe zu verbleiben.

Das Wissen bezieht sich dabei nicht nur auf religiöses Wissen – nein, es bezieht sich auf jede Art von Wissen. Aber das religiöse Wissen sollte natürlich an erster Stelle stehen, denn ohne das Wissen von und durch Allah bleibt der Mensch zwangsläufig auf der Strecke, spätestens, wenn der Mensch Rechenschaft vor Allah ablegen muss. Es ist unerlässlich, dass jeder sich in den fünf Pflichthandlungen auskennt und diese auch dementsprechend praktiziert und genauso wichtig ist das Wissen über die sechs Glaubenspfeiler. Denn ohne diese Punkte wäre die Auslebung der Religion im Alltag nicht möglich. Doch neben dem Wissen um die Pflichten ist auch das Wissen über Charaktereigenschaften und die Erziehung des eigenen Egos (Nafs) essentiell. Denn wie ich vorher schon mehrmals erwähnte: Dies schafft man nur, wenn man sich selber kritisch betrachtet und bereit ist, umzulernen und sich besseres Verhalten anzueignen. Denn Allah bürdet niemanden etwas auf, was er nicht schaffen kann!

“Allah erlegt keiner Seele mehr auf, als sie zu leisten vermag (…).” (2 : 286)

Wie verhält es sich nun mit der Funktion jedes Einzelnen in der Gemeinschaft?

Allah (subhanahu wa ta´ala) als unser Erschaffer weiß genau, was für uns gut ist und wovon wir uns fernhalten sollen. Der Mensch besteht islamisch gesehen nicht nur aus einem Körper, sondern er hat auch eine Seele (Geist) und ein Ego (Nafs). Sie sind alle miteinander eng verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Um wirklich glücklich zu leben, sollten diese drei in Einklang gebracht werde und hierzu hat Allah uns im Quran vieles empfohlen, auch befohlen und durch die Lebensweise der Propheten vor Augen geführt. Ein ganz zentraler Aspekt dabei ist die Gemeinschaft. Wir sind nun einmal eine große Familie und unsere Abstammung geht auf Adam und Eva zurück. Ist es dann auch nicht normal, dass wir uns in Gesellschaft wohlfühlen?

Der Gesandte Allahs (sallallahu alaihi wa sallam) sagte: „Gewöhnlich findest du die Gläubigen in ihrer Barmherzigkeit und ihrer Zuneigung und ihrem Mitleid zueinander wie einen Körper. Wenn ein Teil davon leidet, reagiert der ganze Körper mit Schlaflosigkeit und Fieber. (überliefert von Buchari)

Wie viele Menschen gibt es, die, wenn sie alleine sind, nicht gerne essen. Sind sie aber eingeladen, so “schlagen sie sich den Bauch voll”. Oder wie viele Menschen gibt es, die alleine sind und grübeln und über dieses ständige Grübeln sogar depressiv werden? Wie sieht es mit diesen Menschen aus, wenn man sich mit ihnen unterhält, wenn man ihnen hilft, wieder nach vorne zu schauen? Wie viele Menschen sagen: „Das werde ich niemals schaffen“, doch haben sie Mitkämpfer gefunden, dann läuft plötzlich alles und man erreicht sein Ziel schneller, als man dachte?

Die Gemeinschaft als Segen Gottes

Das ist ein Segen von Allah. Und innerhalb so einer Gemeinschaft kann sich jeder einbringen und etwas Gutes tun und erlangen. Dieses Gemeinschaftsgefühl wird in allen islamischen Aspekten unterstützt:

  • Wir sollen in Gemeinschaft beten, am Freitag, zu den Festgebeten und innerhalb der Familie.

  • Die Zakat wird für die Armen der Umma gezahlt, so entsteht kein Neid seitens der Armen gegenüber der Reichen aufgrund ihres Besitz und auch keine Missachtung seitens der Reichen gegenüber der Armen, da ihnen ja geholfen werden muss.

  • Der Kranke soll nicht alleine gelassen werden, sondern er soll besucht werden.

  • Eine Einladung soll islamisch gesehen nicht abgelehnt werden.

  • Zu Geburten und Hochzeiten soll zum gemeinschaftlichen Essen eingeladen werden.

  • Auch die Beisetzung eines Verstorbenen geschieht in Gemeinschaft.

  • Die Hajj und Umra werden in Gemeinschaft vollzogen.

  • Wir machen ständig Dua für unsere Mitmenschen, schon alleine wenn wir Sura Al-Fatiha lesen, denn alles ist in der Pluralform geschrieben, nicht im Singular.

  • Wir sollten das Fastenbrechen gemeinsam begehen, nicht alleine und jeder für sich und Ramadan selbst ist ein gemeinschaftlicher Gottesdienst, alle Muslime fasten.

  • Und so sollte man auch zum Beispiel in einer Gruppe Quran lernen und nicht alleine. Denn eine Gruppe motiviert sich gegenseitig, es werden Fehler verbessert und man lernt miteinander umzugehen.

Der Mensch kann produktiv werden, einmal für sich selber, weil er seinen Alltag meistert, seinen Verpflichtungen gerecht wird, aber auch für seine Umma, weil er sich in ihr einbringt. Ob es durch Unterrichte, durch Spenden oder auch “nur” durch Dua ist. Und nebenbei werden so viele Hasanat gesammelt.

Hoffnung durch ein Miteinander um Allahs Willen

Wenn man sich als Einheit und mit den anderen verbunden fühlt, so kann es auch nicht so leicht passieren, dass Mitglieder alleine gelassen werden. Viele ziehen sich zurück, wenn sie Probleme haben, viele Menschen sind depressiv und fühlen sich alleine gelassen. Aus dieser Depression heraus fühlen sie sich antriebslos und schwach und möchten am liebsten aufgeben und alles hinschmeißen. Oft sind solche Menschen hoffnungslos, ohne Ziel und ohne Weg. Gerade heutzutage, wo eine Ellenbogengesellschaft herrscht, sollte man auf die Gemeinschaft achten. Leider ist gerade in der “modernen und westlichen Welt”, die sehr materialistisch und individualistisch orientiert ist (und es gilt leider auch immer mehr für die arabischen Welt) ein wichtiger Aspekt verloren gegangen, nämlich dass neben den körperlichen Begierden auch die seelischen befriedigt werden müssen. Auch die Erziehung des Nafs wird leider oft stark vernachlässigt. Der Mensch ist nicht im Einklang mit sich selbst – vielleicht ist er körperlich befriedigt und materiell abgesichert, aber seelisch?

Kommt es soweit, dann sind Menschen eben innerlich traurig, unzufrieden. Es kommt zu Neid, Argwohn, dadurch entstehen leider auch viele Streitereien, Nachbarschaftskämpfe, Erbschaftsprobleme, zerrüttete Ehen mit vaterlosen oder sogar mutterlosen Kindern, ja sogar Ehebruch, aus verzweifelter Suche nach Liebe und Anerkennung. Deswegen ist es wichtig, neben all den materialistischen Konsum, auch die eigene Seele zu befriedigen und das geht am besten mit dem, was Allah uns gezeigt hat: mit unserem Gottesdienst. Ob es nun Beten, Quran lesen oder eine Ehe eingehen ist, alles gehört zum Gottesdienst.

Selbst der gute Umgang mit seinen Mitmenschen ist ein Gottesdienst.

Allah sagt im Quran:

“Die Gläubigen sind ja Brüder. So stiftet Frieden zwischen euren Brüdern und fürchtet Allah, auf dass euch Barmherzigkeit erwiesen werde. O ihr, die ihr glaubt! Lasst nicht eine Schar über die andere spotten, vielleicht sind diese besser als jene; noch (lasset) Frauen über (andere) Frauen (spotten), vielleicht sind diese besser als jene. Und verleumdet einander nicht und gebt einander keine Schimpfnamen. Schlimm ist die Bezeichnung der Sündhaftigkeit, nachdem man den Glauben (angenommen) hat, und jene, die nicht umkehren – das sind die Ungerechten. O ihr, die ihr glaubt! Vermeidet häufigen Argwohn; denn mancher Argwohn ist Sünde. Und spioniert nicht und führt keine üble Nachrede übereinander. Würde wohl einer von euch gerne das Fleisch seines toten Bruders essen? Sicher würdet ihr es verabscheuen. So fürchtet Allah. Wahrlich, Allah ist Gnädig, Barmherzig.” (49 : 10-12)

Von Buchari wird überliefert, dass der Gesandte Allahs (sallallahu alaihi wa sallam) sagte: „Derjenige, der Unzucht begeht, begeht diese nicht in dem Augenblick, in dem er an Allah glaubt. Und derjenige, der Alkohol trinkt, trinkt ihn nicht in dem Augenblick, in dem er an Allah glaubt. Und derjenige, der Diebstahl begeht, begeht diesen nicht in dem Augenblick, in dem er an Allah glaubt. Und derjenige, der sich eine Sache widerrechtlich aneignet, wobei die Menschen ihn missachtend anschauen, begeht diese Tat nicht in dem Augenblick, in dem er an Allah glaubt.”

Kehrt der Mensch also zu seiner ursprünglichen Bestimmung zurück – und das ist die Fitra und die Aufrechterhaltung des Bundes mit Allah – indem er den Islam in allen Bereichen seines Lebens praktiziert, so wird er auch automatisch eine innere Zufriedenheit finden. Denn er lebt in den Grenzen, die Allah ihm gegeben hat und die für seine Existenz notwendig sind. Und für all das braucht er die Gemeinschaft, denn der Mensch ist ein “Herdentier”, kein Einzelgänger. Er braucht die Freundschaft, die Anerkennung und die Motivation durch andere. Er braucht es, sich nützlich zu fühlen, sich an jemanden zu orientieren und für jemanden da zu sein.

Und der Prophet (sallallahu alaihi wa sallam) hat die Gemeinschaft geehrt und immer wieder an sie erinnert. Sogar in den Bittgebeten, so sagte er einmal: „Immer wenn ein Muslim für einen muslimischen Bruder in dessen Abwesenheit betet, wird ein Engel sagen: ‚Und für dich auch.'“ (überliefert von Muslim)

Als Abschluss möchte ich noch folgenden Hadith erwähnen:

Der Prophet (sallallahu alaihi wa sallam) sagte: „Der Schaitan ist für den Menschen ein Wolf, wie der Wolf für die Schafe; er frisst die Schafe, die sich aus der Herde entfernen. So hütet euch davor und seid mit der Gemeinschaft und mit den Menschen und mit den Moscheen.“ (aus Kanz al Ullam, überliefert von Muadh ibn Djabal).

Liebe Geschwister, noch eine Bitte an euch: Wir haben nun den Monat Schaaban und wir wollen uns alle auf den Ramadan vorbereiten. Dazu gehört auch, die Gemeinschaft zu wahren.

So überlege: Bist du mit jemanden verstritten? Versuche ihm zu verzeihen. Hast du jemanden lieb? Dann sag es ihm. Sage ihm: „Ich liebe dich um Allahs Willen.“ Gibt es jemanden, der deiner Hilfe bedarf? Dann hilf im Rahmen deiner Möglichkeiten und bitte Allah um Beistand. Und denke an deine Geschwister überall auf dieser Welt. Es gibt viel Not und viel Leid, bitte Allah darum, dass sie geduldig sind und dass das Leid von ihnen abgewendet wird und wenn nicht in der Dunja, dann in der Akhira, denn zu Ihm ist unsere Rückkehr.

Barakallahu feekum

Ich würde mich sehr über einen Kommentar von dir freuen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Powered by "To Do List Member"